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Caritasverband Ahaus-Vreden entwickelt nachhaltige Angebote zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf:„Interesse an neuen Arbeitszeitmodellen ist hoch“

Work-Life-Balance, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Eigenständigkeit, Flexibilität. Das sind nur einige Schlagworte, wenn es um allgemeine Rahmenbedingungen im Berufsleben geht. Beim Caritasverband Ahaus-Vreden wird kontinuierlich daran gearbeitet, diese Rahmenbedingungen zu verbessern und Antworten auf die Frage zu geben: „Wie machen wir die Arbeit in der Pflege attraktiv(er)?“
Matthias Wittland, Vorstand für das Ressort Pflege und Gesundheit beim Caritasverband.
Datum:
14. März 2024
Von:
Christian Bödding

Erst einmal hilft ein Blick auf das, was man „Attraktivitätskiller“ im Pflegeberuf nennen könnte. „Unsere Pflegekräfte sind 24/7 am Start, inklusive Wochenenden“, erläutert Matthias Wittland, Vorstand für das Ressort Pflege und Gesundheit beim Caritasverband. „Wir haben eine ähnliche Situation wie in der Gastronomie. Unsere Mitarbeitenden arbeiten vielfach dann, wenn andere Freizeit haben.“ Hinzu kommt, dass Mitarbeitende auch privat in die Pflege eingebunden sind, wenn sie sich zum Beispiel um einen Angehörigen kümmern. „Das heißt, sie kommen aus einer beruflichen Pflegesituation in eine private Pflegesituation und vom bezahlten Job mehr oder weniger in den unbezahlten.“ Von Work-Life-Balance kann da keine Rede sein. 

Natürlich ist Geld, sprich die Bezahlung, wichtig. „Aber Geld ist auf Dauer ein schlechter Motivator“, sagt Matthias Wittland. Viel wichtiger – das haben Umfragen unter den Mitarbeitenden gezeigt – sind die passenden Rahmenbedingungen beim Arbeitgeber. In Vorstellungsgesprächen, das erlebt Matthias Wittland immer wieder, geht es vor allem um Arbeitszeiten. „Wir haben nicht selten die Situation, dass vor allem jüngere Bewerberinnen oder Bewerber gezielt Stellumfänge von weniger als 100 Prozent anfragen, um letztlich ihre Freizeit planen zu können.“ 

Um diesen Anfragen gerecht zu werden, bietet der Caritasverband Ahaus-Vreden viele verschiedene Arbeitszeitmodelle, Stichwort Flexibilität. Matthias Wittland: „Im ambulanten Bereich gibt es bei uns die sogenannten Eltern-Touren und in unseren Altenhilfe-Einrichtungen die Mütter-Dienste.“ Dabei werden die Dienstzeiten an die Kindergarten-/Schulzeiten angepasst. Weitere Arbeitszeitmodelle sind in der Erprobung. Geplant ist, in ersten Einrichtungen auch die 4-Tage-Woche zu erproben. Flächendeckend ist sie erst einmal nicht vorgesehen. Matthias Wittland erklärt, warum: „Weil die 4-Tage-Woche letztendlich eine Verlagerung der Arbeitszeit bedeutet. Wir möchten die Belastungssituation der Mitarbeitenden an den Tagen, an denen sie arbeiten, im Auge behalten.“

Insgesamt ist im Bereich Pflege das Interesse der Mitarbeiterschaft an neuen Zeitmodellen hoch. „Wir kommen aus einem klassischen Früh-/Spät-/Nachtdienst-System“, erklärt Matthias Wittland. Im stationären Bereich sind das sogenannte Versorgungskorridore, an denen viele Jahre nicht gerüttelt wurde. Ein Beispiel: „Pflege am Morgen, anschließend Frühstück, gefolgt von der Freizeitgestaltung und dem Mittagessen.“ Allesamt Fixpunkte im Alltag, die den Dienst vorgeben. Doch an ersten Stellen treten Aufweichungen zutage. Matthias Wittland verdeutlicht: „Es gibt durchaus auch Senioren, die länger schlafen möchten und bei denen die Pflegekraft nicht um sechs Uhr da sein muss. Da reicht dann auch acht Uhr oder halb neun.“

Eine nicht zu unterschätzende Rolle, wenn es um attraktive Rahmenbedingungen geht, spielen die „Benefits“. Gemeint sind Bonusleistungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Wir haben gute Angebote“, verweist Matthias Wittland auf eine jüngst erstellte Broschüre des Caritasverbandes, die auf 24 Seiten die Benefits auflistet. Dazu gehören zum Beispiel finanzielle Vorteile wie die betriebliche Altersvorsorge, das Lebensarbeitszeitkonto, das Job-Rad und Angebote zur Gesundheitsförderung. Es mache keinen Sinn, einzig und allein nur über ein Prämien- oder Zulagen-System in den Wettbewerb zu treten, erläutert Matthias Wittland.  Für ältere Mitarbeitende sei zum Beispiel die bei der Caritas über die Kirchliche Zusatzversorgungskasse Köln (KZVK) laufende zusätzliche Altersversorgung ein wichtiges Instrument. „Sie spielt aber bei vielen jüngeren Mitarbeiten noch keine gewichtige Rolle.“ Für Jüngere sei zum Beispiel im ambulanten Bereich die Möglichkeit zur privaten Nutzung eines Dienstwagens viel interessanter. 

Doch was nutzen die schönsten Angebote, wenn das Personal fehlt, um sie in Anspruch zu nehmen. „Der Personaldruck hat stetig zugenommen, berichtet Vorstand Matthias Wittland aus Sicht der Pflege. Früher, also vor etwa 30 Jahren, habe die Zahl der Pflegekräfte in Ausbildung zum Teil über dem Bedarf gelegen. Stellenbewerber mussten mit Absagen rechnen. „Das hat sich verändert. Wir reden heute nicht nur über Personalmangel in der Pflege. Wir reden über Personalmangel in allen Bereichen. Uns fehlen auch Betreuungskräfte und Kräfte in der Hauswirtschaft.“ Da ist es nur ein schwacher Trost, dass der Caritasverband damit nicht allein ist, weil es sich um gesamtgesellschaftliches Problem handelt.

Kann es sein, dass der pflegerische Nachwuchs auch deshalb fehlt, weil die „Generation Z“ – also die ab 1996 Geborenen – zu anspruchsvoll bei der Jobauswahl ist? „Ich glaube, dass die Generation Z sehr viel bewusster an die Berufs- und Arbeitsplatzwahl herangeht als frühere Generationen“, antwortet Matthias Wittland auf diese Frage. Früher habe sich die Planung der Freizeit nach dem Dienstplan gerichtet. Mit der Generation Z habe sich ein Paradigmenwechsel vollzogen. „Heute hat die Freizeit einen höheren Stellenwert.“ Gleichwohl erlebt Matthias Wittland aus der Generation Z sehr leistungswillige Kräfte, „die aber eine Idee davon brauchen, warum sie eine Arbeit übernehmen sollen.“ Es fehle ein Stück weit das „Mittelfeld“, erläutert der Vorstand. „Wir haben auf der einen Seite die Hochmotivierten, die Hochtalentierten und die Hochleistungsfähigen. Auf der anderen Seite haben wir einen größeren Anteil an Kräften, die viel Förderung und Unterstützung benötigen, um eine Arbeit zu erledigen.“ 

Um Personalengpässe in der Pflege zu kompensieren, baut der Caritasverband aktuell im ambulanten sowie im stationären Bereich einen Springerpool auf. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Mitarbeitenden, die je nach Bedarf flexibel in verschiedenen Bereichen eingesetzt werden können, wenn es zu Personalausfällen von Pflegefachkräften kommt. Die Springer werden in ihrer Mobilität unterstützt (Dienstwagen), profitieren von einem Zulagensystem und einem geregelten Arbeitszeitrahmen. Das Thema Leiharbeit in der Pflege spielt beim Caritasverband Ahaus-Vreden hingegen keine Rolle. „Wir haben uns grundsätzlich gegen Leiharbeit ausgesprochen“, vertritt Matthias Wittland einen klaren Standpunkt. Zeitarbeitsfirmen würden für ihre Beschäftigten gerne die „Sahne-Dienste“ reservieren – und natürlich auch Gewinn machen wollen. Das eine führe zu einem nicht gewollten Einsatz der eigenen Mitarbeitenden in Randzeiten, das andere zu immensen Personalkostensteigerungen. 

Umso mehr kommt den Verantwortlichen beim Caritasverband Ahaus-Vreden die Aufgabe zu, nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Matthias Wittland: „Wie gesagt, wir haben Versorgungsbedarfe rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Das erfordert von beiden Seiten ein Entgegenkommen – von unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und auch von uns als Arbeitgeber. Wir müssen noch mehr über Arbeitsbedingungen sprechen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weitestmöglich sicherstellen. Das ist eine Daueraufgabe für die nächsten Jahre.“