Spezialisierte Beratung in Fällen sexualisierter Gewalt:Prävention, Aufklärung, Vertrauen

Seit Anfang des Jahres ist die erfahrene Fachkraft beim Caritasverband Ahaus-Vreden für die spezialisierte Beratung in Fällen sexualisierter Gewalt zuständig. Viel Pionierarbeit ist gefragt, es müssen Strukturen geschaffen werden. Und das bei einem Thema, das von Unsicherheit, Scham und Tabus geprägt ist – gerade dort, wo eigentlich Schutz und Vertrauen herrschen sollten: in Kitas, Schulen und Jugendhilfeeinrichtungen.
Wissensvermittlung
Sexualisierte Gewalt sei in der Gesellschaft ein Thema, das nur wenig oder nicht ausreichend verbreitet sei, über das zu wenig gesprochen werde. Anja Schmitz sieht noch einen hohen Bedarf an Sensibilisierung und Wissensvermittlung. Um sexualisierter Gewalt kompetent begegnen zu können, brauche es auch sexuelle Bildung. „Wenn man mit Fachkräften zusammenarbeitet, merkt man, dass das Thema sehr schambehaftet ist. Gleichzeitig gibt es große Unsicherheiten.“ In Kontakten mit Einrichtungen ist ihr aufgefallen, wie groß die Unsicherheit sei – etwa bei der Frage, wie man Körperbereiche korrekt benenne.
Anja Schmitz muss viel Grundlagenarbeit leisten, um Strukturen zu schaffen. Das Land habe umfassende Aufgabenfelder für die neu geschaffenen Stellen der spezialisierten Beratung bei sexualisierter Gewalt formuliert. Neben der Beratung der Betroffenen und der Fachberatung stellen die Prävention und die Netzwerkarbeit wichtige Säulen dar. Die Zuständigkeit der Fachkraft umfasst die Kommunen Vreden, Stadtlohn, Legden, Schöppingen, Heek, Ahaus, Epe und Gronau. Für Gronau und Epe gibt es eine weitere halbe Stelle in diesem Aufgabenbereich, die von der Diakonie mit abgedeckt wird und mit der Anja Schmitz gerne kooperiert.
Durch die gestartete Prävention und Sensibilisierung zeichne sich bereits jetzt ein hoher Bedarf an Beratung ab – der aus Sicht von Anja Schmitz mit ihrer Stelle allein für die übrigen Kommunen nicht umfassend abzudecken sei. Ihr Bestreben ist es, in Heimeinrichtungen, Kindergärten und Schulen präsent zu sein, um Fachkräften Sicherheit zu diesem Thema zu geben, so dass sie den Kindern gegenüber Bereitschaft ausstrahlen, damit diese sich öffnen können.
Individueller Zugang
In der direkten Arbeit mit betroffenen Kindern und Jugendlichen arbeitet Anja Schmitz unter anderem gerne mit Schaubildern. Für die Arbeit mit älteren Kindern und Jugendlichen nutzt sie die ersten zwei bis drei Sitzungen in der Regel zur Aufklärung: „Wie reagiert der Körper in stressigen Situationen? Warum ist das so? Was passiert genau? Das sind Themen, über die wir sprechen.“ Gleichzeitig legt sie Wert darauf, individuelle Zugänge zu finden: „Ich schaue, was die jungen Menschen für Vorlieben haben, welche Hobbys – und dann arbeiten wir gemeinsam daran, dass das Kind gestärkt wird und mehr Stabilität erfährt. Entscheidend ist immer: Was bringt das Kind mit? Wo kann ich es abholen? Die Methode muss zur Person passen.“
Diagnostische oder ermittelnde Aufgaben übernimmt Anja Schmitz nicht: „Ich bin keine Polizei und kein Arzt. Ich bin absolut parteilich mit meinen Klienten und glaube ihnen. Ebenso unterliege ich der Schweigepflicht und bin nicht verpflichtet, etwas zu melden – es sei denn, es besteht eine akute Gefährdung von Menschen. Dann spreche ich das offen an und wir holen gemeinsam eine weitere Person hinzu.“ Transparenz ist ihr dabei besonders wichtig: „Die Kinder und Jugendlichen sollen wissen, was ich tue und was ich ihnen anbieten kann, sie entscheiden. Denn sie haben in der Vergangenheit oft ohnmächtige Situationen erlebt in unterschiedlichsten übergriffigen Situationen.“
Differenzierung
Ein zentrales Thema ihrer Arbeit ist der Umgang mit sexualisierter Gewalt. Anja Schmitz differenziert hier deutlich: „Es gibt Grenzüberschreitungen, die unbeabsichtigt passieren – etwa, wenn Kinder andere wegen ihrer Kleidung auslachen und nicht merken, dass sie jemanden verletzen. Das sind keine bewussten Übergriffe, sondern fehlende Sensibilität.“ Dem gegenüber stehen gezielte Täterstrategien: „Man spricht hier vom sogenannten 'Grooming'. Täter suchen sich bewusst potenzielle Opfer aus, testen ihre Reaktionen und auch, wie die Gesellschaft reagiert.“ Sie arbeiten/leben häufig in Kontexten mit engem Kontakt zu Kindern – etwa in Familie/Verwandtschaft oder Einrichtungen. Oft würden diese Täter nicht erkannt: „Es sind nicht die Männer mit dem weißen Bulli, die Kinder von der Straße holen. Viel häufiger sind es Personen aus dem nahen Umfeld der Kinder und Jugendlichen.“
Anja Schmitz sieht sexuelle Bildung als zentralen Bestandteil der Prävention: „Viele Eltern sind bereit, über sexualisierte Gewalt zu sprechen, weil sie ihre Kinder schützen wollen. Bei sexueller Bildung tun sie sich dann öfter schwer. Sie glauben, Aufklärung wecke sexuelles Interesse.“ Dabei gehe es um etwas völlig anderes: Kinder müssen ihre Körperteile benennen können, sagen, was sie mögen oder nicht mögen. Ein gutes Körpergefühl und das Wissen über ihren Körper sei wichtig und stärke Kinder vor sexualisierter Gewalt. Letztendlich bleibe die sexualisierte Gewalt ein Entwicklungsrisiko für alle Kinder. Neben der Stärkung der Kinder und Jugendlichen brauchen diese den Schutz durch Erwachsene. Anja Schmitz wünscht sich hierfür eine hohe Sensibilisierung und eine Haltung Erwachsener, um Kinder zu sehen, sie aufzuklären und Übergriffe zu stoppen.
Info: Anja Schmitz arbeitete zunächst in einem Kinderheim und entschied sich dann für ein Studium der Sozialen Arbeit. Im Rahmen ihrer langjährigen Berufserfahrung im Jugendamt absolvierte sie die Ausbildungen zur systemischen Familienberaterin und im Weiteren zur Kinder- und Jugendlichentherapeutin.